Erzähler:innen,  Fundstück

Pst! – Wheesht!

Im Blogbeitrag „Wie kommt man ins Märchenreich“ hatte ich mir Gedanken zu typischen Anfängen und Enden von Geschichten, bzw. dem freien Erzählen gemacht. Nun ist mir dazu noch interessantes Anschauungsmaterial untergekommen, das ich Ihnen und Euch nicht vorenthalten möchte. Und das kam so:

Vor einer Weile hatte ich mir auf gut Glück ein Buch von Stanley Robertson (1940-2009) bestellt, nachdem ich auf ein Video gestoßen war, in dem er eine alte Ballade singt und bei der Gelegenheit auch herausfand, dass er auch ein berühmter Geschichtenerzähler war.

Filmstill einer Aufnahme des Elphinstone Institute der University of Aberdeen: Stanley Robertson singt und dirigiert die Ballade „Busk, busk, bonnie lassie“.

Der Titel des Buches lautet „Reek Roon a Campfire. A Collections of Ancient Tales”, und der Untertitel sprach mich so an, dass ich zunächst großzügig darüber hinwegsah, dass ich nicht genau wusste, was „reek“ und „roon“ überhaupt bedeuten. Inzwischen weiß ich, dass dies dialektale Vokabeln sind. Der Buchtitel heißt in etwa „Rauch ums Lagerfeuer“ – glaube ich. Auch sonst habe ich Freude daran, am schottischen /dorischen Dialekt herumzuknobeln, in dem große Teile der Geschichten und der Rahmenhandlungen verfasst sind.

Robertson erzählt aus seiner Kindheit, aus dem Alltag der schottischen Traveller Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts und streut überall Geschichten ein, die er damals in den beschriebenen Situationen gehört oder erlebt hat. Als Leser:in kommt man so in den Genuss der Beschreibung von Erzählsituationen und kann sich dabei in die beschriebenen Zuhörerer:innen, und den jungen Robertson selbst, hineinversetzen.

Ich will einmal versuchen, Euch zwei Passagen zu übersetzen – mit Hilfe eines Online-Wörterbuchs, aber teils schlicht durch raten auf Basis sehr, sehr passiver und sicher nicht immer relevanter Plattdütschkenntnisse. Das ist wahrscheinlich so akkurat wie „Stille Post“ mit Schwerhörigen, also legt meine Worte nicht auf die Goldwaage bitte.

In einem der Kapitel bildet ein abendlicher Erzählwettstreit die Rahmenhandlung. Robertson beschreibt zunächst die Eigenheiten der drei Kontrahent:innen und das für diese Gelegenheit angelegte große Lagerfeuer. Dort kam es auf Glück und sozialen Status an ob man es schön warm hatte, ohne Rauch ins Gesicht zu bekommen; die Kinder hatten im Zweifelsfall den Erwachsenen Platz zu machen. An diesem Abend hatten alle Anwesenden etwas zum Essen im großen Kochtopf über dem Feuer beigetragen. Nachdem sich dann alle mit Eintopf versorgt hatten begann der Wettbewerb, auf den alle schon ganz gespannt waren. Robertson schreibt:

Traivellers hid hundereds o wyes o starting a tale and Muscle Moo Muggie started aff wi the wordies, „In the days of old, when knights were bold, before paper was invented, they scraped their jeer alang the grun and walked awa contented! I wid like tae tell ye the big tale o…” (S. 99)

Um das angemessen – nämlich reimend – zu übersetzen muss man sich ein paar Freiheiten rausnehmen. Ich sag’s mal so:

„Die Traveller hatten hunderte von Arten, eine Geschichte anzufangen und Muscle Moo Muggie begann mit den Worten: „In den fernen alten Zeiten, als die Ritter gar nichts scheuten, da gab´s noch kein Papier fürs Klo, und alle rutschten mit dem Po bloß übers Gras und waren froh! Ich möchte Euch die großartige Geschichte erzählen von …“

Wer je einmal für Kinder erzählt hat, kann sich denken, wie gut so ein Spruch ankam und welche Heiterkeit er ausgelöst haben mag.

An einer anderen Stelle im Buch beschreibt Stanley Robertson, wie eine seiner Tanten, Jeannie Robertson, erzählt. Ich verzichte mal aufs Original und versuche mich gleich an einer sehr freien Übersetzung:

„Meine Tante Jeannie sang normalerweise für uns, aber bei manchen Gelegenheiten erzählte Sie uns auch mal eine Geschichte. Als sie an diesem Abend in unser Zelt kam, war das eine Belohnung dafür, dass wir Kinder uns besonders gut benommen hatten. Jeannie machte es immer furchtbar blumig, wenn sie uns eine Geschichte erzählte und es dauerte auch immer richtig lange, bevor sie dann wirklich anfing zu erzählen.

Meistens erzählte sie eine Geschichte vom „Dummen Jack und dem Verwalter“, aber diesmal würde sie eine Hexen-Geschichte erzählen. Alle Kinder waren aufgeregt, weil wir Hexen-Geschichten liebten, aber bevor sie die Geschichte begann, sang sie uns ein kleines Lied über den armen kleinen Affen: „Cherry, cherry be, spare a penny for the monkey [„gib dem Äffchen eine Münze“ – vielleicht ist ein Tier eines Spielmanns gemeint?] und nach viel weiterem Drumherum und Ausschmücken begann sie ihr Erzählen so:

‚Nicht letzte Nacht, sondern die Nacht davor, da gingen drei kleine Kätzchen durch ein Türchen: eins kriegte Whiskey, eins kriegte Gin, und eins kriegte den Schürhaken dahin [in den Allerwertesten]. –  Und das wird Euch Kinners auch passieren, wenn Ihr mich ärgert, während ich meine Geschichte erzähle. Denn anders als bei Balladen ist es schwierig, sich zu konzentrieren, wenn man beim Erzählen gestört wird; also legt Euch alle schön hin und keiner sagt auch nur einen Pieps, sonst kriegt Ihr richtig Dresche!‘

Wir wussten alle, dass Tante Jeannie nie ein Kind schlagen würde: sie hatte nur manchmal einen rauen Ton am Leib. Nun ja, zu guter Letzt begann sie mit der Geschichte…“ (S. 50).

Wenn man all das ganz kurz sagen will, dann gibt es im Schottischen das schöne Wort „Wheesht“. Das bedeutet soviel wie „Pst“, oder, etwas gröber, „Sei still!“ – „Haud yer wheesht!“. Ich finde, das klingt (bzw. liest sich) schon irgendwie zauberhaft. Das werde ich sicher bei passender Gelegenheit einmal ausprobieren. Mich würde interessieren, welche Erfahrungen und Ideen Ihr zu dem Thema habt. Schreibt mir gerne einen Kommentar dazu!  Do not haud yer wheesht sozusagen!

Quellen und Weiterführendes:

Stanley Roberston: Reek Roon a Campfire. A Collections of Ancient Tales, Birlinn 2009. ISBN: 1841587958

Wikipedia-Artikel zu Stanley Robertson: https://en.wikipedia.org/wiki/Stanley_Robertson_(folk_singer)

“Wheesht“ als „Wort der Woche“ in der Zeitung „The Scotsman“: https://www.scotsman.com/arts-and-culture/scottish-word-of-the-week-wheesht-1579180

Tony Robertson erzählt “The Story of Silly Jack and the Factor” (mit cat content im Video!): https://mapofstories.scot/the-story-of-silly-jack-and-the-factor/

Balladen und Lieder von Stanleys Tante Jeannie Robertson auf Youtube: https://www.youtube.com/results?search_query=%22Jeannie+Robertson%22+ballad+folk

Webseite zum „Gypsy, Roma, Traveller History Month“ mit vielen Informationen zur Kultur der Reisenden in Schottland: https://www.grthm.scot/grts-in-scotland

Beitragsbild “Kauz”: Foto von Eggert Keller, mit freundlicher Genehmigung.

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