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Das Scottish Storytelling Centre

In Schottland gibt es ein eigenes Veranstaltungszentrum nur fürs Geschichtenerzählen. Und neben den dort übers Jahr stattfindenden Erzählveranstaltungen, Kursen und Ausstellungen gibt es jeweils in der zweiten Oktoberhälfte ein Erzählfestival, das „Scottish International Storytelling Festival“.  Von meinem ersten Besuch dort werde ich später noch berichten – hier hier und heute möchte ich Euch vor allem diesen wunderbaren Ort vorstellen.

Die Altstadt von Edinburgh ist auf einem langgezogenen Bergrücken erbaut. Ganz oben thront das Schloss über der ganzen Stadt. Dort residierten seit um und bei 1093 die Königinnen und Könige Schottlands. Eine Straße führt dann etwa 1,5km in grader Linie den Bergrücken hinunter bis zum Holyrood Palace, wo heute die britischen Monarchen wohnen wenn sie in der Stadt sind, und zum Parlamentsgebäude, in dem seit 2004 das schottische Parlament tagt. Das Scottish Storytelling Center liegt genau auf halber Strecke. An diesem Ort befand sich einst das Netherbow-Tor in der Stadtmauer. Eine Glocke verkündete den damaligen Pendlern, wann morgens das Tor geöffnet und wann es abends geschlossen wurde. Diese Glocke gibt es noch. Sie hängt nun, von der Straße aus hinter der Fassade verborgen, auf dem Dach des Storytelling Centers.

Links das "John-Knox-House" und rechts das SSC.

Passend zu dieser Geschichte erinnert ein Teil der neuen Fassade an einen Kirch- oder Burgturm, mit schmalen unregelmäßigen Fenstern, die auch als Schießscharten genutzt werden könnten. Im Inneren verbirgt sich an dieser Stelle die gemütliche Lobby mit Ticketverkauf und Zugang zu den beidseitig angrenzenden Gebäudeteilen. Links liegt ebenerdig ein entzückender und extrem gut sortierter Märchenbuchladen und der Eingang zu den darüber liegenden Museumsräumen des „John-Knox-House“.

Das John-Knox-Haus stammt aus dem 16. Jahrhundert. Man kann sich über den dort einst wohnenden schottischen Reformator und über den Vorbesitzer des Hauses, James Mossmann, informieren. Knox prägte die Church of Scotland wesentlich, der das Gebäude auch heute noch gehört. Mossmann fertigte den Kronschmuck für Maria Stewart und prägte Münzen mit ihrem Konterfei, was dann böse für ihn ausging.

Ich vor dem Seiteneingang zum Buchladen, schon mit gutgefülltem Festival-Fan-Beutel

Aber zurück zum Storytelling Center, dem nach eigener Auskunft „weltweit ersten, extra für das freie Erzählen gebauten Veranstaltungsort“. Rechts vom Turmfassaden-Eingang befindet sich ein hell verputzter moderner Gebäudeteil. Darin gibt es zur Straße hin ein grün gestrichenes Café mit wunderschönen Holzmöbeln, in dem unter anderem vegetarisches Haggis angeboten wird.

Nach hinten, mit großen Fenstern zum schönen Garten hinaus, liegt der lichte „Erzählhof“ („Storytelling Court“). Eine Seitenwand ist übersät mit vielen kleinen Schränkchen, hinter deren Türen Bilder, Texte und kleine Dioramen schottischer Märchen und Mythen darauf warten, entdeckt zu werden. An der Wand gegenüber hingen bei unserem Besuch Bilder einer Ausstellung – natürlich Szenen eines Märchens. Der Raum wird für viele Veranstaltungsformate genutzt, auch für Musik und Tanz. Im Untergeschoss befindet sich das nach dem alten Torhaus benannte „Netherbow Theatre“ mit ansteigenden Sitzreichen für knapp 100 Gäste.

Grundstück und Gebäude gehören der Church of Scotland, seit 1970 gab es dort bereits das „Netherbow Arts Centre“. Die Kirche hat auch den Löwenanteils des 2006 eröffneten Neu- und Umbaus bezahlt der allerdings angenehm unkonfessionell daherkommt. Das Gebäude ist auch der Sitz der gemeinnützigen Organisation TRACS (Traditional Arts and Culture Scotland) „Traditionelle Künste und Kultur Schottlands“, die sich der Unterstützung von Erzählkunst, Musik und Tanz widmet. In der Selbstbeschreibung heißt es, TRACS habe zum Ziel „eine gemeinsame Plattform und eine kollektive Stimme für das reiche kulturelle Erbe Schottlands zu bieten“ sowie „Wissen, Praxis, Weiterentwicklung und Förderung der traditionellen Künste in der modernen Welt zu verbessern und für alle zugänglicher zu machen.“

(“…to provide a common platform and collective voice for Scotland’s rich cultural heritage, and to improve the knowledge, practice, development and advocacy of traditional arts in a contemporary world, making them more accessible to all.”)

Tradition, kulturelles Erbe – hier wird eine identitätspolitische Motivation sichtbar, die vermutlich ihrerseits aus der traditionellen Relevanz der Themen Zugehörigkeit und Unabhängigkeit für die Bewohner:innen dieses Landstrichs erwachsen ist. Dazu passt, dass man an der Universität Kurse zu schottischer Folklore belegen kann. Es gibt eine Folklore Gesellschaft  und zahlreiche Initiativen, traditionelle Geschichten auch im Netz zugänglich zu machen (zum Beispiel hier und hier).

Davon profitiert man auch als Tourist:in. Denn so lecker wie für manche der Whiskey und so schön die Röcke – und Taschen und Mützen – mit buntem Tartan auch sein mögen – die Erinnerung an eine schöne Veranstaltung und eine gute Geschichte sind für mich einfach das Schönste, was man als Andenken mitnehmen kann. Bei dem Erzählabend, den wir beim Storytelling Festival 2022 besuchten gab es reichlich gute Geschichten, und ich habe sogar welche mitgenommen. Wie das vonstatten ging, erzähle ich hier.

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