Phantasie,  Recherche,  Wissenschaft

ChatGPT und Erzählkunst

Die längste Zeit in der Geschichte der Menschheit waren Märchen und Geschichten – neben konkreter handwerklicher Anleitung – DAS Medium zur Weitergabe menschlichen Erfahrungswissens.

Malerei, Theater, Schrift, Film und andere Medien kamen dazu, aber immer ging es um Geschichten von und für Menschen. Wobei die Geschichten auch davon handeln können, wie schwierig es ist, sich mit neuen Technologien zurecht zu finden oder in einer Umgebung, die einem fremd ist. Ich selbst kann zum Beispiel etwas darüber erzählen, wie mein Großvater den ersten Videorekorder anschaffte und meine Großmutter sich weigerte, die Bedienung des Geräts zu erlernen. Oder ich könnte von der Zeit berichten, in der ich dachte, ich käme ohne Handy aus.

Schwieriger wird es allerdings, wenn es um  Social Media geht. Dazu habe ich noch keine Geschichten parat, die den Jüngeren Orientierung bieten könnten. Mit dem, was sie im virtuellen Raum erleben und erleiden sind sie momentan ziemlich auf sich gestellt. Gänzlich ratlos fühle ich mich jedoch, seitdem ich neulich zum ersten Mal bewusst mit künstlicher Intelligenz, in Gestalt von ChatGPT, interagiert habe. Denn nun muß man wohl den ersten Satz dieses Textes folgendermaßen variieren:

„Die längste Zeit der Geschichte der Menschheit waren Menschen die Urheber von Märchen und Geschichten.“

Wir sind ja tolerant, was die Quellen von Geschichten angeht: Neben Erlebtem kennen wir auch erdachte Geschichten. Wir kennen Geträumtes, Halluziniertes, Gelogenes, gemeinsam Getextetes und vielfach Überarbeitetes. Manche Menschen glauben an Offenbartes. Aber in jedem Fall ist es wichtig für uns zu wissen, mit wem oder was wir es als Urheber:in bzw. Quelle in etwa zu tun haben.

Und jetzt ein Roboter als Verfasser? Wie kann man ihm etwas zurechnen? ChatGPT ist ein menschengemachter Algorithmus, der große Mengen menschengemachter schriftlicher Äußerungen sowie Informationen über Grammatik, Stil und Genres nutzt, um auf Zuruf (dem sogenannten „prompt“) Texte nach Wunsch zu generieren. Diese Texte klingen, als wäre da jemand, der über den ‚Prompt‘ nachgedacht und etwas dazu verfasst hätte. Und dieses ‚menschlich Klingen‘ ist (vermutlich) auch die einzige Absicht, die dieser künstlichen Intelligenz eingeschrieben ist. Mit dem Prompt können wir Anweisungen geben oder Fragen stellen. Was dann passiert, wissen wir nicht.

Prompt vom 22.01.2023: Was ist Erzähltkunst

Dies war meine Frage an den Algorithmus. Nur drei Worte, von denen das wichtigste auch noch falsch geschrieben war. Und noch nicht einmal ein Fragezeichen dazu. Hier die ‚Antwort’:

ChatGPT:
Erzähltkunst, auch Erzählkunst genannt, bezieht sich auf die Kunst des Erzählens von Geschichten. Es umfasst verschiedene Formen der Erzählkunst wie Märchen, Fabeln, Noelle, Kurzgeschichten, Romane und Theaterstücke. Es handelt sich dabei um eine traditionelle Form der Unterhaltung und Kommunikation, die sich auf menschliche Erfahrung und Verbindung zwischen Erzähler und Zuhörer konzentriert.
Erzähltkunst kann sowohl oral als auch schriftlich übertragen werden. Sie hat auch eine lange Geschichte in verschiedenen Kulturen und hat sowohl Unterhaltungs- als auch pädagogische Zwecke. Erzähltkunst beinhaltete oft Themen wie Liebe, Abenteuer, Moral, Familie, Freundschaft und viel andere Aspekte des menschlichen Lebens und kann sowohl realistisch als auch fantastisch sein.

Wie finden Sie das? Also ich für meinen Teil war und bin baff. Das ist ja fast schon ein Wikipedia-Artikel. Im Grunde war diese Antwort des Bots sogar besser als die Wikipedia, denn zu diesem Zeitpunkt gab es dort noch keinen Artikel zum Thema Erzählkunst. Wer danach suchte, wurde weitergeleitet zu „Epik“.

Inzwischen gibt es einen Artikel. Von menschlichen Urheber:innen und Bearbeiter:innen wie mir – plus Bearbeitungen von Bots, die bestimmte Formatierungen automatisch dem Standard angleichen. Bitte ergänzen und verbessern Sie (wenn Sie mögen): https://de.wikipedia.org/wiki/Erzählkunst.

In diesem Fall wurde also der Output von ChatGPT zur Motivation (quasi zu einem Prompt) für menschliches Recherchieren und Schreiben. Auch nicht übel. Ich frage mich inzwischen, wie nah der Algorithmus an diesen jetzigen Stand des Wikipedia-Artikels zur Erzählkunst  herangekommen wäre, wenn man ihm einen genaueren Prompt gegeben hätte („Schreibe einen Artikel mit einer Länge von xy und folgenden Unterüberschriften…“)?

Wenn in Zukunft KI-generierte Texte in der Wikipedia landen sollten, dann hoffe ich darauf, dass Prompter und die Community ein Auge darauf haben, dass die Inhalte stimmen. Vollends seltsam wird es, wenn solche ‚künstlichen Texte‘ in die Datengrundlage für die Erstellung weiterer künstlicher Texte eingespeist werden. Ob es wohl noch lange dauert, bis sich die KI mit sich selbst unterhält? Und erzählt sie sich dann Geschichten aus ihrer eigenen Erfahrung?

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