Erzähler:innen,  Interview

Hakaya 2.0 – Ein Update fürs Erzählen

– Annika Füser und Mohammed Kello im Interview –

Beim Besuch der offenen Erzählbühne im Haus der Kulturen in Braunschweig im Frühjahr, und neulich im Rahmen der O-Ton Reihe in Helmstedt, traten Annika Füser und Mohammed Kello auf. Als Erzähl-Duo nennen sich die beiden Hakaya 2.0, was man vielleicht als „aktualisierte/erneuerte/verbesserte Geschichten“ übersetzen könnte. Sie erzählen schnell – auf Deutsch, Kurdisch, Arabisch – und mit dem ganzen Körper. Ich fand es unheimlich lustig, anarchisch, lebendig und war sehr berührt von den einzelnen Geschichten. ,So etwas‘ hatte ich noch nie vorher erlebt und hatte deshalb noch viele Fragen an die beiden. Zum Glück für mich – und für Euch, liebe Leser:innen – hatten die beiden Lust, sich per Videoschalte und Email-Dialog befragen zu lassen. Und so präsentiere ich Euch hier stolz ein paar Einblicke in die Welt der „Geschichten mit Update“:

Maret: Liebe Annika und lieber Mohammed, vielen Dank, dass ich Euch befragen darf. Ich fange mal am Anfang an: Wie habt Ihr Euch getroffen, wie kam es zu Eurer Zusammenarbeit als Hakaya 2.0? Wo tretet Ihr auf?

Mohammed: Wir haben uns 2013 im Theater X in Berlin Moabit kennen gelernt. Das ist ein kleines Community-Theater, wo Annika seit vielen Jahren als Theaterpädagogin und Regisseurin arbeitet und ich seit 2013 als Schauspieler tätig bin. Ich hab‘ zuerst durch Ilhan Emirli und Suse Weise und das Fenster zur Welt Kontakt mit dem künstlerischen Erzählen bekommen und Annika durch ihr Studium der Theaterpädagogik an der UDK [Universität der Künste Berlin].

Annika: 2017 haben wir dann zusammen die Veranstaltung „HerStories“ im Theater X organisiert, bei der wir Geschichten von starken Frauenfiguren gesammelt haben; das waren sowohl traditionelle Geschichten als auch geschichtliche Biographien von echten Heldinnen genauso wie Anekdoten. Und da kam Mohammed auf mich zu und meinte: „Ich habe eine Geschichte von meiner Oma gehört, die können wir zusammen erzählen…, aber ich erzähle auf Kurdisch und du auf Deutsch.“ Und so kam es, dass wir zum ersten Mal im Tandem auf Kurdisch und Deutsch auf der Bühne standen. Diese Geschichte von Sinam begleitet uns noch immer, sie ist eine der drei Geschichten, die wir in unserem aktuellen Programm erzählen.

Mohammed: Das Programm „Von König Horst… u ciroken din“ (was übrigens auf Kurmanji „und andere Geschichten“ bedeutet) haben wir zum ersten Mal 2019 im Theater X erzählt und dann sind wir ziemlich schnell damit auf Tour gegangen. Wir waren bei der Offenen Erzählbühne in Berlin, Hannover und Braunschweig, bei Festivals wie „Feuerspuren“ in Bremen und „Narrare“ in Jena; wir haben im Linden-Museum in Stuttgart und dem Ost-Passage Theater in Leipzig erzählt aber auch in verschiedenen Unterkünften in Berlin, in Wohnzimmern, im kurdischen Frauenzentrum und sogar in einer Kirche.

Foto: Fabrizio dal Vera

Maret: In Eurem Programm gibt es die Rahmenhandlung von König Horst und den Bewohner:innen und Neuankömmlingen in seinem „Herrschaftsgebiet“ und dann die Geschichten, die sie erzählen. Das ist jetzt nicht gerade traditionell „Tausendundeine Nacht“ oder „Grimms Märchen“. Woher kommen diese Geschichten, wie habt Ihr sie zusammengestellt? 

Annika: Die Inspiration für die Rahmenhandlung haben wir ehrlich gesagt von Horst Seehofer und der CSU. Seehofer wurde 2018 Innen- und sogenannter ‚Heimat‘minister und seine CSU brachte ihr Grundsatzprogramm „Die Ordnung“ heraus. Die Szenerie, die wir am Anfang beschreiben, mit dem friedlichen Tal, der spazieren gehenden Kleinfamilie und den läutenden Kirchturmglocken entspricht eins zu eins der Website zum Grundsatzprogramm. Diese vermeintlich ‚friedliche‘ Ordnung wird dann von den Menschen und ihren Geschichten gestört. Die Motivation für unser Programm ist also schon eine politische.

Mohammed: Gleichzeitig geht es auch um ein Empowern und Brückenbauen, was wir mit Geschichtenerzählen verbinden. Wir haben extra Geschichten ausgesucht, in denen sich starke weibliche Figuren durchkämpfen – gegen Imame, herrische Königinnen, übergriffige Priester und Mauern. Die erste Geschichte, von Sinam, ist eine Geschichte von meiner Oma. Die zweite ist ein Schwank aus Würzburg und die dritte, über die Prinzessin und die Sonne, ein Märchen von dem palästinensischen Autor Ghassan Kanafani. Aber wir haben die Geschichten auch immer weiterentwickelt, sodass sie für uns stimmig werden.

Annika: Es ist ein bisschen lustig. Wir mussten feststellen, dass die Zuhörenden oft mit der Erwartung in unser Programm kommen, dass sie jetzt ‚orientalische‘ Märchen hören, obwohl wir die Rahmengeschichte in Bayern platziert haben. Das liegt wohl daran, dass die Geschichten auch auf Kurdisch und Arabisch erzählt werden. Wir haben in der Erzählszene oft erlebt, dass Menschen, die in anderen Sprachen erzählen, dann auch Geschichten aus ihren vermeintlichen Kulturen erzählen, und dass es daher mit den Hör- und Sehgewohnheiten bricht, wenn plötzlich ein kurdischer Erzähler auf Arabisch einen fränkischen Schwank erzählt. Damit das Setting aber wirklich klar wird, benennt König Horst in der Anfangsszene mittlerweile die Bergspitzen als „Watzmännchen“ und „Zugspitzchen“ und wir lassen auch die Kirchenglocken läuten.

Im Haus der Kulturen in Braunschweig

Maret: Für mich war es ungewohnt und beeindruckend, dass Ihr beide in den Geschichten mal Mann, mal Frau seid. Wie kamt Ihr darauf?

Annika: Ich halte sowieso nicht so viel von rigiden Geschlechterrollen und denke, alle können alles verkörpern. Gleichzeitig geht es auch hier darum, mit Sehgewohnheiten zu brechen und keine Klischees zu reproduzieren. In den Geschichten, die wir erzählen, sind die Frauen die starken und positiven Figuren und die Männer, wie Horst, der Imam und der Priester die ‚Bösen‘. Wir wollen nicht das irgendjemand aus unserem Programm rausgeht und denkt: „Oh ja, da hat sich die weiße blonde Frau aber gut gegen den bösen Kurden oder Araber verteidigt.“ Die Medien sind so voll von diesen Bildern, dass das ganz unterbewusst passieren kann. Deswegen brechen wir das bewusst.

Mohammed: Und es macht auch einfach mehr Spaß, in verschiedene Figuren zu schlüpfen und sowohl den ernsten Vater als auch die schnippische Königin zu verkörpern. Das bringt Abwechslung und Herausforderungen.

Maret: Habt Ihr eine Lieblingsgeschichte oder eine Lieblingsfigur in dem Programm? Was ist das Besondere daran?

Mohammed: Gute Frage eigentlich… Ich mag Delon und Lamis, die beiden Kinder, am liebsten, die am Ende die Laternen an die Menschen verteilen. Sie repräsentieren für mich die Hoffnung und die Zukunft. Das finde ich sehr poetisch.

Annika: Ich bin in alle Charaktere ein bisschen verliebt und mag gerne die Abwechslung zwischen Poesie, Humor und Action. Aber am meisten identifizieren kann ich mich wahrscheinlich mit Maria, besonders nachdem wir sie seit neustem als lesbische Figur erzählen.

Maret: Ihr erzählt ja in drei Sprachen. Als Schwerhörige habe ich eine gewisse Erfahrung mit dem Nicht-Verstehen und bin geübt darin, gemeinsame Augenblicke zu genießen, auch wenn ich einem Gespräch nicht folgen und mich nicht einbringen kann. Es gibt aber immer einen Kipppunkt, hinter dem eine Welle der Frustration, des Neids oder auch der Wut auf mich zurollt. Das hat neben meiner Tagesform vor allem damit zu tun, ob ich denke, in einer bestimmten Situation so etwas wie ein ‚Geburts- bzw. Anrecht‘ auf Partizipation und Verstehen zu haben. Zum Beispiel fühle ich mich bestohlen, wenn meine Lieblingsmusik von früher nur noch Lärm ist. Ich fühle mich ausgeschlossen, wenn jemand in meiner Muttersprache flüstert. Aber wenn ich vielleicht als Touristin im Ausland in einer fremden Sprache unterwegs bin, dann ist es halt so. Euer Programm war für mich eine neue Situation und eine emotionale Achterbahnfahrt. Ich war auf jeden Fall hingerissen von Eurem Spiel und getröstet, dass im Publikum auch sonst kaum jemand jedes Wort versteht. Wie geht es Eurem Publikum sonst mit dem Verstehen? Wie reagieren die Leute auf die Mehrsprachigkeit?

Annika: Wir erzählen an sehr unterschiedlichen Orten, mit sehr unterschiedlichem Publikum. Natürlich macht es einen Unterschied, wenn es ein Publikum ist, wo die Mehrheit deutsche Muttersprachler:innen sind und vor allem mich sprachlich verstehen. Oder wenn im Publikum auch oder vor allem kurdisch- oder arabischsprachige Menschen sitzen, die dann an ganz anderen Stellen lachen, weil Mohammed vielleicht einen Witz eingebaut hat, der sich nicht ins Deutsche übersetzen lässt. Das ist für das deutsche Publikum dann manchmal bestimmt eine Erfahrung des Nicht-Verstehens oder Ausschlusses, wie du sie beschreibst.

Mohammed
: Ich glaube, die Menschen, die mich nicht direkt verstehen, zieht das noch mehr in meine Erzählung rein, da sie versuchen, meine Körpersprache zu lesen oder meinen Tonfall und meine Mimik. Natürlich verändert es etwas, wenn ich merke, dass da Menschen im Publikum sitzen, die nur Kurdisch oder Arabisch verstehen. Ich kriege auf jeden Fall viel positives Feedback von denen, die es sonst nicht gewohnt sind, ihre Sprachen und vor allem ganze Geschichten auf deutschen Bühnen zu hören.

Annika: Es ist immer toll, wenn wir vor jüngerem Publikum unser Programm erzählen. Wenn der schüchterne Schüler mit kurdischer Muttersprache dann auf einmal zum begehrten Übersetzerstar wird und alle ihn bewundern, dass er Mohammed versteht.

Foto: Fabrizio dal Vera

Maret: Wie geht es weiter mit Hakaya 2.0? Was ist geplant? Wo kann man Euch noch sehen und hören?

Annika:  Wir sind jetzt im Januar erst einmal beim „ZauberWort“ Festival in Nürnberg, wo wir die Geschichten von Horst, aber auch in anderen Konstellationen erzählen werden. Parallel erzählen wir gerade viel in Berlin, vor allem für Kinder, und arbeiten an unserer Website.
Wir wollen auch ein neues abendfüllendes Programm erarbeiten, aber sind da ein bisschen faul…

Maret: Oh, da bin ich gespannt! Eine letzte Frage habe ich noch: Was würdet Ihr machen, wenn Ihr das Publikum verzaubern könntet (also noch mehr als schon jetzt😉) oder einen unendlichen Fördertopf hättet für Erzählkunst?

Mohammed: Das ist ein sehr utopische Frage. Wenn alles möglich wäre, würden wir zusammen um die Welt reisen und Geschichten sammeln und überall erzählen. Aber wir sind leider in der Welt, wie sie ist…

Maret: Das ist ein schöner Wunsch. Den kann ich gut nachvollziehen, aber die Bedenken auch. Annika und Mohammed, habt ganz herzlichen Dank für Eure Zeit und das Interview! Ich finde es großartig, wie Ihr die Geschichten, Eure Art des Erzählens und damit auch so viel Stoff zum darüber Nachdenken ‚unter die Leute‘ bringt. Ich behalte Eure Kanäle im Auge und hoffe, Euch dann in Berlin oder auch hier in Niedersachsen bald wiederzusehen!

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