Ein ambulanter Märchenwald
Frohe Feiertage wünsche ich Euch allen! Für mich persönlich geht ein gutes Jahr zur Neige und ich blicke dankbar zurück auf schöne Geschichten, die ich erzählt bekommen, gehört, gelesen, recherchiert, mit anderen diskutiert und selber erzählt habe. Und ein bißchen auf Social Media habe ich mich gewagt. Nun sorgt unter anderen/m Frau Wolle dafür, dass ich und ihre vielen treuen Zuhörer:innen jeden zweiten Abend in der Adventszeit bei ihren Mandelmilchmärchen zur Ruhe kommen, während sie uns auf die abenteuerlichsten Reisen mitnimmt.
Beim digitalen Aufräumen habe ich ein paar Fotos vom Mannheimer Weihnachtsmarkt von 2022 wiedergefunden. Auf dem Paradeplatz gab es dort, wie auch dieses Jahr wieder, einen ambulanten Märchenwald. Und nachdem ich dieses Jahr so viel von tanzenden Bäumen in Schottland gelesen und erzählt habe, kann ich Euch das nicht länger vorenthalten. Hier nun also für Euch ein paar Impressionen:
So ein Weihnachtsmarkt in der Großstadt ist ja fast immer trubelig und sehr gut besucht. Überall gibt es interessante Waren zu sehen und die Luft ist voll von Musik und Unterhaltungen und von Düften nach Waffeln, Zuckerwatte, Glühwein, Bratwürstchen… Da ist es dann sinnvoll, die Märchen so kurz und prägnant wie nur möglich zu erzählen. Die Klassiker werden so zu Mikrogeschichten, die bei Besucher:innen wie mir dann die Erinnerungen an früher gehörte oder gelesene Langversionen triggern.
Für die diejenigen mit einer rationaleren Herangehensweise und/oder ohne Vorkenntnisse von „typisch deutschen“ Märchen gibt es auch ein paar Rahmen-Infos. Im Gegensatz zu Dornröschen und Aschenputtel ist die Geschichte von Frau Holle meines Wissens nie populär von Disney verfilmt worden. Aber die Grimm´sche Version der Frau Holle hat es von Kaiserzeit bis mindestens zum zweitem Weltkrieg tatsächlich in viele Schulbücher geschafft und ist sicher in jeder der unzähligen „Best of Grimm“-Sammlungen enthalten. Ich bin bloß neugierig, wer da 2006 diese Auszeichung vergeben haben könnte? Weiß das jemand?
Spezialität dieses von Fest zu Fest fahrenden Märchenwaldes ist ein märchenerzählender Baum namens Egon. Er hat ein bewegliches Gesicht, offenbar schon viel gesehen auf seinen Reisen und erzählte mit sonorer Stimme vom Band zuverlässig seine Versionen der Geschichten:
Ich fand es schön und spannend, in Mannheim diese Weiterentwicklung eines stationären Märchenwaldes zu erleben. Es ist ja erstmal nur logisch, dass Märchen wandern und in der Welt unterwegs sind. Das Erzählen von Geschichten gehört seit jeher zur Grundausstattung derjenigen, die – wie hier die Schausteller:innen und Standbetreiber:innen – viel in der Welt umherziehen. Damals wie heute kommt ihnen und ihren Zuhörer:innen, Gästen und Gastgeber:innen zupass, dass die Märchen gemeinfrei, Kulturerbe und eben nicht jemandes persönliches Eigentum sind, für das man Lizenzen erwerben oder Tantiemen bezahlen müsste.
Mit der Erfindung des „Märchenwaldes“ hatte man die Märchen quasi permanent in bewegtem Bild und Ton verfügbar gemacht, dabei aber im Wald (also im Freizeitpark) fixiert. Hier hingegen sind sie wieder unterwegs und haben sozusagen den Wald mitgenommen. In Mannheim gab es die die üblichen gesprochenen Texte vom Band aus Lautsprechern zu Hören, beleuchtete und bewegte Puppenpanoramen zum Ansehen, aber auch die Kurztexte zum Lesen und den mechanischen Baum als magischen Erzähler. Selbst getroffen habe ich sie nicht, aber von der Webseite des Schaustellerunternehmens weiß ich, dass dazu zeitweise auch noch verkleidete „Walking Acts“ unterwegs sind und Märchen auch auf Bühnen gepielt werden: https://m-rick.de/mannheimer-maerchenwald/. Da kommen dann auch Figuren vor, die nicht bei Grimms Märchen vertreten, aber dafür spezifisch saisonal sind, wie der Weihnachtsmann oder sprechende Schneemänner.
Das Ganze ist also noch multimedialer geworden und der Umgebung eines belebten Marktes angepasst. Je nach Alter und Disposition der Besucher:innen ergibt das dann stimmungsvoll-nostalgische Deko bis hin zu magischem Märchenerleben.
Am Paradeplatz gibt es übrigens auch einen großen Buchladen. Ob der größere Nachfrage nach schön illustrierten Märchenbüchern verzeichnete? Ich stelle mir jedenfalls gerne vor, dass die (kleinen) Besucher:innen später daheim die Märchen noch einmal lesen, sich vorlesen lassen – oder erzählen natürlich! In diesem Sinne: Danke fürs Lesen und ich wünsche allen schöne Feiertage!