Forschung,  Pädagogik

Märchen als Metaphern

Ein Teil meines Brotberufes ist es, Sachverhalte oder auch Theorien zu vermitteln und so zu erklären, dass mein Gegenüber sie sich merken, und darüber diskutieren kann. Es geht dabei auch um Technik und um die Zusammenarbeit von Wissenschaftler:innen mit unterschiedlichen fachlichen Hintergründen. Idealerweise illustriert man so etwas mit Geschichten aus der (eigenen) Erfahrung. Aber für den Sprung vom Konkreten zum Abstrakten und als „Merkbilder“ fehlten mir bislang noch eingängige Illustrationen.

Ein kleiner gedanklicher Kurzschluss führte dann neulich zu der Idee, „Märchen als Metaphern“ zu benutzen. Ich wollte meine Kernbotschaften mit bekannten Märchen/bildern koppeln, um zu unterhalten und mir ihren Wiedererkennungswert zunutze zu machen.

Meistens wählen Illustrator: innen ja besonders typische Momente der Märchen für ihre Bilder, und so entsteht bei häufig illustrierten Geschichten wie der Sammlung der Brüder Grimm so etwas wie eine eigene Bildtradition. Beispiele finden sich im Märchenatlas oder in diesem Wiki einer Fandom-Plattform, das Illustrationen zu den Grimm’schen Märchen sammelt. Wenn jemand wie Henrik Schrat Figuren in Zeit und Raum wandern lässt oder ein Nikolaus Heidelbach ungewöhnliche Momente und Blickwinkel der Geschichten für seine Bilder wählt, dann erlauben sie uns einen frischen Blick auf die Geschichten. Nie aber werde ich die (ziemlich klischeemäßigen) Bilder aus meinem Lieblingsbuch aus der Kinderzeit vergessen. Die Illustrationen hier unten basieren auf der Idee, dass es Ihnen, Euch und meinen zukünfigen Zuhörer:innen auch so geht.

Ich präsentiere also stolz die Werke der Grafikdesignerin Dunja Bosanac, die meinen Ideen und Skizzen Leben eingehaucht, und hier und da noch feine Akzente gesetzt hat.

Das Bild ist eine visuelle Metapher. Angelehnt an das bekannte Bild aus dem Märchen Sterntaler, bei dem Taler aus dem Himmel auf das arme Mädchen herabregnen, empfängt hier eine arme Wissenschaftlerin gute, hilfreiche Daten für ihre Forschung.

Das Märchen von den Sternentalern ist eines der kürzesten in der Sammlung der Grimms: Ein kleines Mädchen wird zur Waise und obdachlos, und verschenkt schließlich noch ihr letztes Brot und die Kleider auf dem Leib an Bedürftige. Am Ende steht sie nachts, allein und nackt im Wald:


„Und wie es so stand und gar nichts mehr hatte, fielen auf einmal die Sterne vom Himmel, und waren lauter blanke Taler; und ob es gleich sein Hemdlein weggegeben, so hatte es ein neues an, und das war vom allerfeinsten Linnen. Da sammelte es sich die Taler hinein und war reich für sein Lebtag.“

Mein Comic nutzt das ikonisch gewordene Bild vom Empfang der Sternen-Thaler um die Themen „Bedürftigkeit und Hilfe“ und „Lohn für menschenfreundliches, selbstloses Verhalten“ auf die Situation von Wissenschaftler:innen zu übertragen. Man sieht der Person im Comic an, dass sie schon etwas gelitten hat, um ihren Doktorhut zu erlangen. Sie freut sich über gute Daten, die hier auf sie herabregnen. Denn wenn man mit digitalen Quellen arbeiten will, setzt das oft enorme Mühen bei der Erhebung und/oder Digitalisierung voraus, und es ist ein großes Geschenk, wenn qualitativ hochwertige Daten einem „in den Schoß fallen“, weil zum Beispiel eine Bibliothek oder ein Archiv diese Arbeit schon geleistet hat.

„Die Guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen.“ – So machten es die Vögel, die Aschenputtel halfen, die von der bösen Stiefmutter gestellte Aufgabe in Rekordzeit zu erfüllen.
Enorm viel Arbeit, die Präzision, Ausdauer und Sachverstand erfordert, und die geleistet wird von hilfreichen, oft namenlos bleibenden Kreaturen, damit jemand anderes glänzen kann, bzw. die Chance dazu bekommt… Klingelt da was?
Das sind Bibliothekar:innen und Archivar:innen bei der Bewahrung und Erschließung von Quellen, und manchmal auch Forscher:innen, die Forschungsdaten erheben und kuratieren,  damit die Nachwelt sie benutzen kann.

Metadaten sind Daten, die uns über andere Daten oder Dinge sagen. Bei einem Medikament wären das der Beipackzettel und das aufgedruckte Verfallsdatum. Bei Büchern sind es der Name der Autor:in, des Verlags, Publikationsjahr usw.
Ohne diese Metadaten ist es oft schwer bis unmöglich zu verstehen, was wir vor uns haben. Ohne sie sind viele Dinge unverständlich und nutzlos und ein guter Teil historischer Forschung besteht darin, so etwas wie Metadaten zu rekonstruieren und entstandene Lücken zu überbrücken. Insofern ist es ein Liebesdienst an der Zukunft, wenn man dafür Sorge trägt, dass Daten immer mit möglichst reichhaltigen und korrekten Metadaten versehen werden.

In Märchen gibt es viele Beispiele dafür, wie wichtig ist, etwas zu wissen, zu durchschauen, oder in Erfahrung zu bringen. Das Zauberwort, den Namen Rumpelstilzchens, und eben die Info, die in diesem Comic praktischerweise schon an den  Gegenständen angebracht ist, die sonst vielleicht geheimnisvoll, gefährlich, unverstanden geblieben wären.

In diesem Comic hat sich gerade Dornröschen an der Spindel gestochen. Sie steht für eine:n Geisteswissenschaftler:in, die/der sich mutig genug fühlte, ohne Begleitung auf Entdeckungsreise in unbekanntem Terrain zu gehen und ein neues Werkzeug ausprobieren – allerdings ohne etwas von der Handhabung zu verstehen, eine Anleitung zu lesen oder jemanden zu fragen, die sich auskennt. Nun ist ein Schaden entstanden. Unser:e Held:in ist frustriert, möchte vielleicht das Ganze nur noch beiseitelegen, vergessen und eigentlich nur noch schlafen … bis hoffentlich jemand kommt, die/der alles wieder in Ordnung bringt.

Im Märchen ist Dornröschens Gegenüber die dreizehnte weise Frau, die einst von der Familie beleidigt wurde und nun ihren langgehegten Groll gegen die Tochter auslebt. Hier stößt meine Metapher an ihre Grenzen, denn in meinem Bild ist die weise Frau eine IT-Fachfrau und Entwicklerin. Als solche hat sie vielleicht Grund zum Groll auf manche Institutionen und Nutzer:innen, aber bösen Willen möchte ich nicht unterstellen.

Folgen sollen noch weitere Comics: Hänsel und Gretel mit Daten-Brotkrümeln zum Thema “Best Practise beim Forschungsdatenmanagement” um sich im dichten Wald/im eigenen Datenwust zu orientieren; Ali Baba und die 40 Forscher:innen zur Frage von offenen Daten und Repositorien; Beziehungsrat von der Prinzessin aus dem Elfenbeinturm und dem Froschprinzen aus dem IT-Department.
Angedacht, aber metaphorisch tendenziell als zu flach befunden sind die sieben Zwerge beim Data-Mining und die Stadtmusikanten als Tech Stack.
Es fehlt noch eine zündende Idee zum Thema Forschungsförderung und Antragsprosa. Goldesel? Knusperhäuschen? Buttje, Buttje in de See?
Ich freue mich auf Anregungen und Feedback in den Kommentaren!

Edit: Hier gehts zur Fortsetzung mit weiteren Comics.

Die hier gezeigten Comics “Star Data”, “Croudsourcing Cinderella”, “Metadata matters!” und “Feature vs. Bug” von Maret Nieländer/Dunja Bosanac sind lizensiert mit CC BY-SA 4.0.

 

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